Tief bewegende Gedichte des Lyrikers werden zusammen mit dem Heilbronner Literaturhaus und Anton Knittel auf die Bühne gebracht
Von Isabell Michelberger, Südkurier 24.05.2024
Mit einer szenischen Lesung der Gedichte von Ernst S. Steffen würdigten die Elftklässler des Martin-Heidegger-Gymnasiums im Meßkircher Schlosskeller dessen literarisches Schaffen auf bewegende und eindrucksvolle Weise.
Der Autor verbrachte die fast Hälfte seines kurzen Lebens im Gefängnis, wo er das meiste verfasste. Die Beschäftigung mit Ernst S. Steffen und seinem Werk kam durch die Zusammenarbeit mit Anton Knittel, Leiter des Heilbronner Literaturhauses und der Museumsgesellschaft zustande. Die Deutschlehrer Tobias Andelfinger und Simone Hägele griffen mit ihren Elftklässlern das Thema auf, behandelten die Lyrik von Ernst S. Steffen im Unterricht und setzten dessen Gedanken für die Bühne ausdrucksstark in Szene. Knittel, promovierter Literaturwissenschaftler und ebenfalls Absolvent des Meßkircher Gymnasiums, stellte das Leben und Werk des Autors vor.
„Es ist nicht selbstverständlich, dass Schülerinnen und Schüler während der Abiturphase eine szenische Lesung realisieren und ebenso dass sie sich mit Lyrik befassen“, zeigte Christine Braun von der Museumsgesellschaft bei der Begrüßung ihren Respekt vor der Initiative. Das Werk, das Ernst S. Steffen hinterließ, ist nicht umfangreich, wird aber unter anderem von vielen Literaturschaffenden hoch geschätzt. Den Großteil seiner Lyrik schrieb Steffen im Gefängnis. Ihn bewegte, was es bedeutet, für eine lange Zeitspanne aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein, sowie die Frage, wie sich eine Rückkehr gestalten könnte: „Der erste Schlüssel / in meiner Hand / wird ein Abenteuer sein; / der Blick aus einem / unvergitterten Fenster / ein Wagnis mit der Balance.“ Sozusagen in der Gefangenschaft sozialisiert, war ihm bewusst, dass er sich als „freier“ Mensch neu erfinden musste, blieb aber realistisch: „Ich werde nicht nach Hause kommen. / so wird es sein, / wenn ich nach Hause komme.“
Die einfachen und doch sehr tiefgründigen und ausdrucksstarken Worte von Ernst S. Steffen präsentierten die Elftklässler auf beeindruckende Weise, die jedem unter die Haut ging. Das Publikum war tief bewegt von der Lyrik, dem Schicksal des Autors, als auch von der Darbietung der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die den emotionalen Aspekt betonten. Wie Anton Knittel später ausführte, war es der Vater des Schriftstellers Joachim Zelter, der als junger Justizassessor in der Strafanstalt Bruchsal das schriftstellerische Talent des Insassen entdeckte. Renommierte Literaten wie Arnold Stadler, der sich im Publikum befand, schätzen die Lyrik von Steffen.
„Wenigstens postum, das zeigen die vielen begeisterten Einschätzungen von Autorinnen und Autoren kann er mit seinen Texten ankommen und uns als Leserinnen und Leser immer noch berühren, aufrütteln, uns mit den eigenen Lebensentwürfen konfrontieren“, sagte Knittel. Er berichtete ebenfalls, wie er die Lebensgeschichte nach und nach anhand der Akten und Berichte von Nachkommen entdeckte.
„Mich beeindruckt besonders die Geschichte mit der Gefangenschaft und dass die Gedichte im Gefängnis entstanden sind“, erzählte Maik Buchholz, der an diesem Abend für die Technik zuständig war. Finn Stadler berührte die grausame Lebensgeschichte. „Was er mitmachen musste“, das bekomme man so nicht von den Menschen mit. Maximilian Fox beschäftigte vor allem das Gedicht „Heimkehr“. Die Orientierungslosigkeit und dass der Autor nie ein wirkliches Zuhause hatte, sei schlimm. Der vom Krieg traumatisierte und schwer gewalttätige Vater, der seinen Sohn krankenhausreif prügelte, bewegte auch Sophia Weikart. Alle Akteure an diesem Abend fanden es sehr spannend, sich auf diese Weise mit Literatur zu beschäftigen. „Es war etwas anderes abseits des Unterrichts“, so ihr einhelliges Credo.
Mitwirkende: Aaron Benkler, Sudenaz Bastürk, Andreas Biselli, Daniel Geiger, Finn Stadler, Max Vogt, Andreas Schamber, Jannik Warken, Sophia Weikart und Nebahat Yaman. Technik: Maik Buchholz und Jonas Braunschweig. Leitung: Simone Hägele und Tobias Andelfinger.
„Ich will frei sein – das darf mich das Leben kosten!“
Ernst S. Steffen wird als uneheliches Kind am 15. Juni 1936 geboren. Seine Eltern heiraten zwei Jahr später. Da der Vater Musiker ohne feste Aufträge ist, sorgt die Mutter für den Lebensunterhalt der Familie und reist als Vertreterin viel umher. Aus diesem Grund ist der Sohn meist auf sich allein gestellt. Die prekäre Situation der Familie ist stets belastend, schlimm jedoch wird die Situation, als der Vater traumatisiert aus dem Weltkrieg zurückkehrt und für Gewaltexzesse sorgt.
Aktenkundig geworden sei Steffen spätestens 1947 beim städtischen Wohlfahrtsamt, wie Anton Knittel recherchierte. Der damals Elfjährige habe öfter die Schule geschwänzt, sei bei Diebstählen erwischt worden, habe gelogen und den Respekt gegenüber Erwachsenen vermissen lassen. Nach einem schlimmen Gewaltexzess seines alkoholkranken Vaters kommt der Sohn ins Krankenhaus und danach in eine Pflegeanstalt. Sein weiteres Leben ist geprägt durch Heime und Gefängnis. Die Biografie Ernst S. Steffens zeigt den Teufelskreis von Gewalt, Angst und Flucht auf. Es wirkt noch heute dramatisch, dass die Familie nicht vor dem gewalttätigen Vater geschützt wurde, sondern das junge Opfer, dessen Leben durch Schmerz, Sehnsucht und den Wunsch, ein Mitglied der Gesellschaft zu sein, geprägt ist, den Mühlen der Justiz nicht entkommen kann.
Mit 34 Jahren stirbt Ernst S. Steffen im Dezember an den Folgen eines Autounfalls. Fast die Hälfte seines Lebens verbrachte er hinter Mauern und Gittern: knapp drei Jahre in Heimen und fast 14 Jahre in Strafanstalten. Nach dem Gefängnisaufenthalt gelang es ihm nicht, in seiner Heimatstadt Heilbronn Fuß zu fassen: „Das sind Tausende, die unaufhörlich an Eurer Gleichgültigkeit zugrunde gehen“, beklagte er die stete Vorverurteilung als Ex-Gefangener. Während er im Gefängnis saß, war ihm bewusst, dass das Leben ohne ihn weiterging, was ihn zu den Zeilen bewegte: „Es gibt keine Ankunft mehr für uns. / Die Ankunft ist besetzt / von den sieben Jahren, / die wir fort waren.“ Doch der Wunsch in Freiheit zu leben, blieb offensichtlich sein Grundbedürfnis, denn etwa zwei Jahre vor seinem Tod schrieb er an seinen Vetter, den Verleger Siegfried Unseld: „Ich will frei sein – das darf mich das Leben kosten!“
Der Gedichtband von Ernst S. Steffen „Wenn ich nach Hause komme. Gedicht und Prosa aus dem Gefängnis“, der in der Kröner Edition Klöpfer 2023 erschien, enthält ein Vorwort und ein Nachwort von Anton Knittel.